Johannes Paulmann (Hg.): Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, 314 S., ISBN 978-3-412-12005-4, EUR 34,90
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Auswärtige Kulturpolitik wirkt immer in zwei Richtungen: Erstens vermittelt sie Bilder eines Landes, seiner Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur ins Ausland und strebt so die Verbesserung der Beziehungen zu anderen Staaten und deren Bevölkerung an. Als nicht intendierten, aber wichtigen Nebeneffekt löst sie zweitens reflexive Selbstwahrnehmungsprozesse im "Senderland" aus und kann so langfristig dessen Selbstverständnis beeinflussen. Während zu den Zielen und Ausprägungen der deutschen Kulturpolitik im Ausland bereits mehrere Studien vorliegen, ist ihre zweite, nach innen wirkende Dimension in der Forschung bisher wenig beachtet worden. Mit dem hier vorzustellenden Sammelband möchte Johannes Paulmann den Grundstein dafür legen, diese Forschungslücke zu schließen. [1]
Deutschland nach 1945 ist geradezu prädestiniert für die Erforschung solcher Mechanismen, musste es doch nach Nationalsozialismus und Weltkrieg sowohl ein neues Selbstverständnis entwickeln als auch neue Strategien zur (Re)Präsentation im Ausland. Seine Kulturdiplomatie stand vor der Herausforderung, sich vom Kulturimperialismus des Kaiserreichs und des Nationalsozialismus abzusetzen und gleichzeitig die jüngste Vergangenheit sowie den jeweils anderen deutschen Teilstaat immer mitzudenken. Unter diesen besonderen Rahmenbedingungen kam den auswärtigen Repräsentationen eine weitere Funktion zu: Sie sollte zur Wiedereingliederung der Deutschen in internationale und transnationale Ordnungen beitragen. Dabei stand jede Form der Repräsentation im oder für das Ausland unter verstärkter Beobachtung im Inland. Paulmann fragt daher nicht nur nach den Kennzeichen der deutschen Selbstdarstellung, sondern auch nach ihrer Funktion im Prozess der Selbstvergewisserung und danach an welchen Werten, Vorstellungen oder Traditionen sie sich orientieren konnte. Diese Gesamtkonstellation führte, so die These Paulmanns, zur Ausprägung einer spezifischen "Haltung der Zurückhaltung" (1) in der an das Ausland gerichteten Kulturpolitik, die ebenso charakteristisch für die Bundesrepublik war wie die Betonung des Austauschgedankens.
Die Kennzeichen, Mechanismen und Funktionen dieser Kulturdiplomatie werden in 15 Beiträgen untersucht. Mit dem Begriff der "auswärtigen Repräsentationen" zeigt schon der Titel des Bandes, dass der Untersuchungsrahmen dabei konzeptionell nicht auf die amtliche auswärtige Kulturpolitik beschränkt ist: Die Felder von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur werden ebenso einbezogen wie Veranstaltungen im Inland, die sich explizit an ein internationales Publikum richten. Damit geraten neben Staatsbesuchen und den Anfängen der westdeutschen Kulturinstitute im Ausland auch Festspiele, Sportveranstaltungen oder die Besichtigung der Krupp-Industriewerke als Programmpunkt beim Besuch ausländischer Staatsgäste in den Blick. Der Sammelband eröffnet so ein breites Spektrum an Beispielen für auswärtige Repräsentationen, ihre Akteure, Strategien, Zielsetzungen und Rückwirkungen in die eigene Gesellschaft.
Wie auswärtige Repräsentationen Bedeutung für die Selbstvergewisserung der bundesdeutschen Gesellschaft erlangen konnten, zeigt exemplarisch der Beitrag von Friedrich Günther über den Staatsbesuch Theodor Heuss' in Großbritannien 1958. Die durch die britischen Reaktionen "gespiegelte Selbstdarstellung" (185) löste in Westdeutschland eine kritische Auseinandersetzung über den Erfolg des Besuchs sowie über angemessene Formen der Selbstdarstellung für die Bundesrepublik aus und leitete damit eine Grundsatzdebatte über das eigene Selbstverständnis ein. Die "geradezu ängstliche Fixierung der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf das Urteil des Auslands" (203) zeigt die Unsicherheiten, die am Ende der 1950er-Jahre noch über Selbst- und Fremdbilder bestanden.
Ganz anders als die "inszenierte Bescheidenheit" (188) des Bundespräsidenten erscheint die Repräsentation der Bundesrepublik auf kulturellem Gebiet: Sabine Horn konstatiert für die Ausstellung documenta I in Kassel 1955 keine vorsichtige "Haltung der Zurückhaltung", sondern stellt eine selbstbewusste Leistungsschau vor, bei der die Künstler der Bundesrepublik durch die Betonung langer "abendländischer" Traditionslinien von den Ausstellungsmachern selbstverständlich in die westliche und internationale Kunstszene eingeordnet wurden.
Die ganze Spannbreite verschiedener Repräsentationsformen wird insbesondere in den Beiträgen über die Wirtschaftsdiplomatie des BDI (Werner Bührer) und die Beteiligung der Krupp-Werke bei Staatsbesuchen (Simone Derix) deutlich: Beide betonen die Verschränkung staatlicher und nichtstaatlicher Akteure und die flexible Ausgestaltung repräsentativer Handlungen, die je nach Adressat verschiedene Aspekte in den Vordergrund stellen und zurückhaltender oder selbstbewusster ausfallen konnte.
Bührers Beitrag ist dabei einer der wenigen, der die Schwelle zu den 1970er-Jahren überschreitet. Der Schwerpunkt des Sammelbandes liegt auf den 1950er- und 1960er-Jahren, als sich neue Formen auswärtiger Repräsentationen herauszubilden begannen. Interessant wäre jedoch auch die Frage nach weiteren Zäsuren gewesen, nach Verschiebungen und neuen Formen im Prozess der Eingliederung Deutschlands in verschiedene Bezugsrahmen. So wird lediglich durch den Aufsatz von Daniela Münkel über die Gründung des German Marshall Funds of the United States im Jahr 1972 angedeutet, dass sich die "Haltung der Zurückhaltung" - analog zur veränderten politischen Situation - in ein neues Selbstbewusstsein gewandelt hatte. Eine umfassende Überprüfung von Paulmanns These einer Zäsur 1973 [2] auch im Bereich der auswärtigen Repräsentationen steht damit noch aus.
Durch zwei Beiträge vertreten sind die auswärtigen Repräsentationen des zweiten deutschen Staates. Der Untertitel des Bandes "Deutsche Kulturdiplomatie" hätte auch eine ausgewogenere Aufteilung erwarten lassen können, doch hat Paulmann schon an anderer Stelle betont, die Selbstdarstellung der DDR im Ausland sei in ihren "Rückwirkungen auf das gesellschaftliche und politische Selbstverständnis [...] nur schwer zu erfassen" und sei daher hauptsächlich in ihrer Funktion als Folie und Konkurrenz ein wichtiger Bezugspunkt. [3] Peter E. Fäßlers Beitrag zur außenwirtschaftlichen Repräsentation der DDR und der Aufsatz von Peter Ulrich Weiß über die Selbstdarstellung der DDR in Rumänien arbeiten diese antagonistische Bezogenheit der beiden deutschen Staaten aufeinander deutlich heraus.
Der klug zusammengestellte Band erschließt in kulturgeschichtlicher Perspektive trans- und internationale Prozesse in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und gibt einen eindrucksvollen Einblick in die Mechanismen und Funktionen auswärtiger Repräsentationen. Dabei leistet der von Paulmann entwickelte Forschungsansatz einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der vielen Facetten westdeutscher Identität nach 1945. Dass auf Grund der Kürze der Beiträge manches Argument nicht voll entfaltet werden konnte und mancher Beitrag daher nur einen ersten Einblick in die mit diesem Konzept verbundenen Erklärungschancen gibt, macht den Leser umso neugieriger auf weitere Einzelstudien zum Thema der Auswärtigen Repräsentationen. [4]
Anmerkungen:
[1] Eine Skizze des Konzepts der "Auswärtigen Repräsentationen" hat Paulmann bereits früher vorgestellt: Johannes Paulmann: Deutschland in der Welt. Auswärtige Repräsentationen und reflexive Selbstwahrnehmung nach dem Zweiten Weltkrieg - eine Skizze, in: Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des Ost-West-Konflikts, hg. von Hans Günter Hockerts, München 2004, 63-78.
[2] Ebd., 71 f.
[3] Ebd., 67, 76.
[4] Bisher v. a.: Eckard Michels: Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut. Sprach- und auswärtige Kulturpolitik 1923-1960, München 2005; Ulrike Stoll: Kulturpolitik als Beruf. Dieter Sattler (1906-1968) in München, Bonn und Rom, Paderborn u. a. 2005.
Reinhild Kreis